voriger eintrag

boeni, 1. august 1999 - schüsse im hamburger berg:

Ich bin völlig matt. Es ist? 9 Uhr. Arzt.

Wie ging Sanjos Geburtstag zuende? Wie bin ich ins Bett gekommen? Ich seh mich nur noch Prosecco-getränkt aus Sanjos Wohnung wanken.

Im Hinterhof dieser herrliche Sonntagmorgen-Frieden. Ich bin zu schwach, um durchs offene Fenster rauszuschauen, ob der Himmel blau ist. Auf einmal ein bayrisches Grummeln im Halbschlaf.

„Ja, hier ist ja oalles naß. Wo kommt denn des ganze Wasser her. Haben Sie des Wasser runterg'schüttet?“

„Nein“ sagt die Frau, die über mir wohnt. Offenbar schaut sie aus ihrem Schlafzimmerfenster.

„Was heißt hier nein“, sagt der Bayer. Ich glaube, es ist der Typ vom Tierfutterladen nebenan. Der sitzt oft morgens im Hof auf seiner Holzbank, liest Bild und redet mit Vögeln und Hunden.

„Nein heißt Nein“, sagt meine Nachbarin genervt. Dann ist gottseidank wieder Ruhe. Ich will wieder einschlafen. Ich bin so kaputt.

Plötzlich knallen zwei Schüsse durch den Hinterhof. So laut, als hätte jemand vor meiner Fensterbank abgedrückt. Jesus, Maria und Josef. Das macht wach. Dem Tierfuttersepp verschlägt's die Sprache. 20 Sekunden Stille folgen.

Dann setzt eine Schimpfkanonade ein, wie ich sie noch nie gehört habe. Irgendwo von oben rechts über meinem Fenster brüllt eine verzerrte, bebende Stimme: „Du Arschloch, mach die Frau nicht noch mal an, halt sofort die Fresse, du Nazischwein, geh zurück nach Bayern, sieh zu, daß du Land gewinnst, wenn ich dich draußen auf der Straße erwische, breche ich dir alle knochen, da kannst dich drauf verlassen!!!!“ Wieder Stille.

„Des ist doch net normal“, murmelt fassungslos der Tierfuttersepp. Zerschlagen krieche ich auf meinem Bett an die Fensterbank, schiebe meinen Kopf unter dem Holzrollo durch. Der Tierfuttersepp entdeckt mich: „Haben Sie des g'sehen? Des ist doch net normal.“

In dem vergammelten Partyzelt, das im Hof neben ihm aufgebaut ist, klafft ein Loch. Hat der Typ da reingeschossen? Rechts oben im Seitenflügel, von wo der Schuss wohl gekommen ist, sind alle Fenster geöffnet, aber niemand ist zu erkennen. War's Harms, unser Hausmeister, der Mann, den niemand mit seinem Vornamen ansprechen darf außer seiner Freundin? War's der Typ dadrunter?

Diese vor Haß und Rohheit bebende Stimme. Zum Fürchten.

„Ja, des ist doch net normal“, wiederholt der Tierfuttersepp unablässig. Auf dem gegenüberliegenden Balkon im dritten Stock erscheint eine Frau im Bademantel. „Haben Sie des mitbekommen? Der hat auf mi g'schossen“, stammelt der Tierfuttersepp. „Rufen Sie die Polizei“, sagt die Frau, „das hat der schon öfter gemacht.“

Der Tierfuttersepp verschwindet, ich sinke in die Kissen zurück. An Schlaf ist nicht mehr zu denken. Bin ich fertig. Einige Minuten später kehrt die Stimme des Tierfuttersepp zurück. „Hier hat er neig'schossen. Aus dem Fenster da oben.“

„Da oben sind viele Fenster“, antwortet eine Stimme lakonisch. Ein Bulle. „Na doa, doa oben“, sagt der Sepp. Der Bulle: „Dann gehen wir doch mal hoch.“ „Kann i vielleicht mitkommen?“ der Sepp. „Sie bleiben hier, das machen wir alleine.“

Ich liege mit Kopfschmerzen im Bett.

weiter am 7. august 1999