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boeni, anfang juni 2002:

und immer wieder an die elbe. der hamburger reflex, sobald die sonne das leichentuch über der stadt durchsticht. geradezu obsessiv rennen wir an die elbe. liegen hinter der strandperle im sand.

sanjo schaut einer frau nach. schmi hat eine angesprochen. barac grummelt vor sich hin. nur george clooney hält die zähne noch geschlossener. makan lacht. ich werfe die frage „wollen wir nicht über politik reden?“ einfach mal so in die runde. könnte ja sein. wollen wir aber nicht. eigentlich nie.

da sind wir ein spiegel unserer zeit. in verdrehung der alten parole „das private ist politisch“ sagen wir „das private ist politik genug“. man hat ja eine menge mit sich zu tun. auch sonst ist unser dasein zeitgeistig. barac und sanjo sind start-upler, makan frei und selbständig und ich glücklicher arbeitsloser seit neuestem. was eigentlich alles dasselbe ist. nur schmi arbeitet konventionell, aber weil er so absurd früh anfängt, ist er freitag nachmittag schon fertig und kann dabei sein. woldo leider nicht. sie hat noch die ganze nacht vor sich, wegen ausbeutung in einer kreativbranche.

immer wieder befiehlt die sonne: an die elbe!

beachvolleyball. grillen. fussballenanästhesie durch 6stündiges bridgen und baggern im sand. singles gucken singles hinterher. neue gesichter werden mitgebracht. sanjo redet nach wie vor über weiße unterhosen, wenn er eine frau kennengelernt hat. lerth produziert sich am spielfeldrand, ich sehe es genau. woldo hat schlechte laune. barac liegt auf einem george-clooney-artigen badetuch am rande der 20-mann-horde und raucht. dabei schaut er in die wolken. menschen kommen und gehen. ich wende meine lamm-kotelletts auf meinem extra-grill. winli, das phiesta-baby liegt im sonnenzelt. ich darf ihn wickeln. alles ist so winzig.
ein phiesta-tag am strand...

was ist phiesta eigentlich, höre ich immer wieder leute fragen?

wenn ich das wüsste. ein „sozialer zusammenhang“, ein prozess, eine nicht-verwandte familie... in der jeder darauf wartet, dass die dinge noch besser werden. und bevor das der fall ist, fangen wir doch einfach schon mal damit an, das leben lustiger zu machen.

aber manchmal wundere ich mich, dass fast alle so ganz mit sich zugange sind. „wollen wir nicht über politik reden?“ ich weiß, dass das ein guter witz ist. aber ich würde wirklich gerne darüber reden. mein traum: phiesta sitzt am strand, und 15 leute streiten wie die besenbinder über die wahlprogramme für september. also über die zukunft. und nagen dabei ihre koteletts ab.
barac - mit dem ich mich immerhin von zeit zu zeit in die wolle kriegen kann, z.b. über die US-außenpolitik - hat mir ein essay-bändchen von houellebecque geschenkt. der regt sich an einer stelle darüber auf, dass heutzutage immer alles in humor ertränkt werden muss. ein bisschen mehr ernst wäre der lage wohl angemessen. recht hat er.

aber phiesta ist eine fluchtburg, ein lager von hamburger nomaden an der elbe. jeder kann dazu kommen. vielleicht entsteht daraus etwas neues. vielleicht ist politik ja wirklich zu traurig, als sie auch noch an die elbe mitzuschleppen.

stattdessen: phiesta als abgrundtief apolitische subversion des allgemeinen konsenses aus karriere, wettbewerb und konsumwahn. cooler satz. den muss ich mir merken, wenn mich das nächste mal einer fragt, was phiesta sei...