boeni, 29. mai 1999:

Das Leben hat mir einen üblen Streich gespielt. Mein Herz einmal ausgewrungen. Es bleibt nur die Teilamputation. Rausschneiden. Also bin ich Pfingsten, eine Woche zuvor, nach Berlin gefahren, um meine letzten Möbel abzuholen, und habe mich im Karneval der Kulturen kurzzeitig euphorisch gekifft. Lange hält das nicht.

Freitags frage ich deshalb Barac, ob es nicht am Wochenende irgendwo eine Party gebe, auf der man sich ablenken könne. Obwohl ich ihn trotz, vielleicht sogar wegen seiner gelegentlichen Bärbeißigkeit sehr schätze, bin ich bis dahin nie mit ihm zusammen in der Stadt gewesen. Jetzt geht es ihm nicht besser als mir. Der richtige Augenblick, endlich mal über diese oberflächliche Job-Bekanntschaft hinwegzukommen. Er weiß von keiner Party, sagt aber etwas von einem Grillen an der Elbe.

Ich gebe mir den Ruck und fahre bei Barac und Schmi, den ich von meiner letzten Party kenne, mit an dieses Falkensteiner Ufer. Ein Wahnsinnstag. Ich habe Apfelwein und meinen Picknick-Koffer mit Lammkoteletts mit, dazu Oliven, Schafskäse. Wenn die Sonne scheint, aber sonst nichts, muss wenigstens das Essen stimmen.

Wenn man gerade wieder Single ist, kreist das ganze Denken um diese Tatsache. Das Neue ist diesmal nur meine maßlose Wut, deren Gründe hier nichts zur Sache tun. Single. Zum Kotzen. "Freiheit". Shit. Natürlich bin ich neugierig, ob irgendwelche interessanten Frauen da auftauchen. Barac hat gesagt, es würden locker über 20 Leute kommen.

Zunächst finden wir keinen von ihnen. Wir sind ans falsche Ende vom Falkensteiner Ufer gefahren. Während Barac und ich schon mal Apfelwein inmitten der Horde von Strandgängern trinken, findet Schmi den Haufen. Ein paar spielen Volleyball, ein Typ mit ziemlich wenig Haaren und einem uralten, gelben Sporttrikot kommt auf uns zu. Das ist Sanjo, der die Veranstaltung angeleiert hat. Umgänglicher Mensch, trotz Trend-Fastglatze. Der Rest der Leute? Viele Gesichter, die meisten irgendwie doch verschlossen. Mit sich selbst und ihren Geschichten beschäftigt. Aber immerhin keine Poser. Außer Barac und Schmi kenne ich keinen.

Stunden später sind mir einige Gesichter vertrauter. Ein Typ, der ihn einen Anzug schlüpft und dessen Freundin irgendwie viel älter als er wirkt - Noaal, wie ich später erfahre. Eine Frau mit kurzen orange Haaren. Die erinnert mich irgendwie an Kreuzberger Publikum. Das istkan, die ziemlich nett ist. Neben ihr eine stille Frau, die meistens mit einem traurigen Gesichtsausdruck auf die Elbe hinausschaut. Als wir dann nach der Dämmerung am Feuer Sanjos uraltem Radion lauschen, weiß sie immer gleich von wem das Lied ist. Immer. Ich bin beeindruckt, weil ich keine Frau kenne, die sich mit derselben enzyklopädischen Akribie wie Männer bei Musik auskennt. Das also ist Woldo. Am Feuer säuselt ein schwer sympathischer Typ eine etwas trendige Frau voll. Unnachahmlich, dieser einfühlsame Tonfall, der immer unterhalb des allgemeinen Geräuschpegels rund ums Lagerfeuer bleibt. So kann man also baggern. Gestatten, Sarch, seines Zeichens Charmeur.

Obwohl nichts Besonderes passiert und ich mich nicht einmal mit irgendeinem der anderen richtig unterhalt, weil ich mich so leer fühle, wird es ein schöner Tag, und meine Frustanfälle halten sich in Grenzen. Trotzdem bin ich Lichtjahre von wirklich guter Laune entfernt. Beim Aufbruch verabreden sich einige in der Amphore.

Halb elf abends, die Sonne hat mich müde gemacht. Ich bin drauf und dran, nach Hause zu gehen. Ich habe ja niemenden so gut kennengelernt, dass ich das Gefühl habe, neue Freunde gefunden zu haben. Aber nein, versack jetzt nicht, alter Misanthrop.

Vor der Amphore treffe ich Sarch, Sanjo und noch zwei, drei andere vom Ufer. Wir gehen zum Pudel runter, wo Makan und Woldo dazu kommen. Klönen auf der Treppe vorm Pudel, wie es Hunderte von Hamburgern tuen. Dann in die Lounge. Auf dem Sofa drehe ich mir zu Sanjos Erstaunen eine Tüte, während Sarch gutgelaunt vor sich hintänzelt. Sanjo zieht nur kurz, wir stellen fest, dass wir beide ratlos und anspruchsvoll zugleich durchs leben gehen und nicht in Routine versanden wollen. Das verbindet mich gleich mit ihm.

Schließlich gehe ich breit und zufrieden nach Hause. Ich habe tatsächlich ein paar echt nette Leute kennengelernt.



weiter am 30. juni 1999