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boeni 30. juni 1999:

Ich quäle mich durch den Juni. Immerhin, Sanjo ruft ein paar Tage nach dem Grillen an und wir verabreden uns zum Fussballspielen hinter dem Dammtor-Bahnhof auf der Moorweide. Da jagen wir im Frühling dem Ball hinterher, das heißt Sanjo und Barac jagen übers Grün und schwitzen, während ich in Gerd-Müller-Manier vor dem gegnerischen Tor rumlungere und dann und wann den Ball reinmache. Die Hulla, wie wir früher in der Limesstadt sagten, als der blöde Hans Muth meinen neuen Ball nach jedem Spiel in Hundescheiße wälzte. Er war älter als ich, da hatte ich schlechte Karten. Mit 8 kann sich nicht jeder wehren.

Auch das Fußballspielen lenkt mich nicht total ab. Immer wieder muß ich irgendwelchen Frauen hinterher schauen, die vom Bahnhof kommen. Man wird schnell paranoid, wenn man das Alleinsein haßt, und bekommt diesen Suchblick. Könnte die es werden oder die oder die...? Ich kann nicht sagen, daß ich lässig bin. Aber mit den anderen habe ich plötzlich einige Mitstreiter gefunden, mit denen ich in der Amphore die Blicke schweifen lassen kann, ohne mir blöd vorzukommen. Eine von den Frauen, die dort hinter dem Tresen steht, hat es mir ein wenig angetan. Aber richtig fasziniert sie mich auch nicht. Die Amphore ist ein eigenartiger Schuppen. Sehr angesagt, die meisten recht hip, ein einziger Basar der Sehnsüchte und der Eitelkeiten.

Das paßt mir in jenen Wochen sehr gut. Ich kann einfach da sitzen, hin und wieder mit Sanjo und den anderen ein Wort wechseln und einfach nur schauen. Dabei ist mir klar, daß ich mich nicht einmal nach einer schnellen kurzen Affäre sehnte. Ich habe keine Eile, ohne gelassen zu sein. Alles ist anders als im Sommer 98, in dem mich ein gebrochenes Herz unruhig durch Berlin trieb.

Ich habe schon alle Bilder gemalt, alle Zeilen geschrieben, alle Gelüste geträumt und aufs Papier gebannt, den ganzen Scheiß schon mal erlebt, und jetzt ist nichts mehr übrig, was noch hätte gesagt werden müsste. Ich male ein programmatisches Bild, einen Dreiteiler, einen schwarzen Kreis - das klaffende Loch im Herzen, einen schwarzen Pfeil - die Richtung für die Zukunft, und das dritte Blatt ließ ich weiß - das Ziel, an dem kein Abgrund mehr klafft.

Sanjo stresst sich mit W. Zu der Zeit kann er noch der Impresario sein, den Rest der Gang langsam zusammenführen, sich glaube ich auch ein wenig in dem Luxus gefallen, nicht glücklich verliebt zu sein, während die anderen alle Single-Satelliten zu sein scheinen, die um seine Wohnung kreisen. Aber ich neide es ihm nicht. W. ist nett und niedlich, aber keine große Frau.

Zwischendurch legen Sanjo und ich in einer Art Kita auf einer recht großen Party Platten auf. Ein lustiger Abend. Spoma ist dabei, Barac, eine Freundin von Sanjo aus Sankt Petting-Order (wie Sankt Peter-Ording seit der Norddeutschland-Tour 89 hieß). Makan und ihre Freundin kommen später dazu, doch da bin ich längst mit gehörigem Ernst hinter den Plattenspielern. Als wir vorher bei mir ein Thai-Curry aßen, war ich noch sehr aufgekratzt. Aber die Party ist mir zu normal, das Plattenauflegen zu sehr Arbeit, und um halb vier nachts ich ich froh, endlich gehen zu können. Am nächsten Morgen entdecke ich eine kleine farbkopierte Partyeinladung in meiner Tasche und zerbreche mir eine Weile den Kopf, von wem sie ist. Von Makan ist sie.

Am 29. Juni habe ich in Amsterdam zu tun, ziehe dort ziemlich fidel mit einem Haufen von Journalisten nachts durch die Kneipen. Vor dem Rückflug am nächsten Abend bleiben mir noch ein paar Stunden. Im Sonnenschein dann der Absturz. Durch Grachten und Gassen schleiche ich, immer fünf Meter hinter mir selbst her, ein sarkastischer Beobachter, den nichts erreicht, nicht einmal ich mich selbst in meinem haßerfüllten Hader, bleibt alles diffus, jedes Aufkeimen von Gefühl ein einziges "Vielleicht"...

Ist Liebe ein Wahnvorstellung, frage ich mich, eine unhaltbare Position, eine Krankheit, eine Sucht, ein Rausch, von dem man nicht mehr runter kommt? Dann ist das definitiv Cold Turkey.

In dieser Bombenstimmung lande ich in Hamburg und fahre zu Makans Party, obwohl ich eigentlich gar keine Lust mehr habe. Sanjo, Sarch und ein paar andere, die ich noch nicht kenne, sind schon da und retten mich fürs erste. Es klingelt, und Makans Freundin, die an der Elbe so mißmutig war, kommt mit unglaublich guter Laune herein. Woldo lacht mich in der Küche an und nennt mich beim Namen. Große Verblüffung meinerseits. Auch wegen ihrer leuchtenden Augen. Meine Laune hellt sich schlagartig auf. Wir beginnen, über Musik zu debattieren, Beatles und Laibach, die die Beatles so fürchterlich gecovert haben, wie ich meine, sie dagegen findet Laibach spannend. Woldo läßt mich partout nicht mehr in schlechte Laune zurücksacken, erstaunlich. Ihr Outfit ist echt originell, eine Art Turnschuhe, die ich nicht kenne, und ein "Latzhosenkleid" in grau, und Zöpfe! Weil ich am nächsten Tag viel zu tun habe, gehe ich trotzdem früh nach Hause.

Ab jetzt kommt alles in Bewegung!



weiter am 31. juli 1999